Kungelei im Gemeinderat?

Kommunalaufsicht darf keine Aufsicht sein

Politische Entscheidungen sind Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit. Jedenfalls sollen sie es sein. Aber oftmals ist es schwierig, das Allgemeinwohl allgemeingültig zu definieren. Einige glauben, der Allgemeinheit ist möglichst gut gedient, wenn der Wirtschaft gedient wird und fördern sie auf Biegen und Brechen. Andere halten das Gegenteil für richtig und versuchen, die Wirtschaft an eine möglichst kurze Leine zu legen, damit nicht nur einige wenige Personen das Geschehen in ihrem Sinne und zu ihrem Vorteil dominieren.

Wie groß die unterschiedlichen Auffassungen dazu auch sein mögen, Einigkeit herrscht darüber, dass ein politisches Amt nicht zur persönlichen Bereicherung dienen darf. Daher gibt es auf allen politischen Ebenen Regelungen, die versuchen, das Risiko der Vorteilsnahme zu eliminieren oder zumindest einzuschränken. Trotzdem werden immer wieder solche Fälle bekannt. Wobei auch viele Fälle NICHT bekannt werden, weil sie die oben beschriebene Problemzone als Grauzone nutzen.

Um gar nicht erst in diese Grauzone zu geraten, hat sich die Praxis etabliert, dass ein Mitglied eines politischen Gremiums von politischen Entscheidungen ausgeschlossen wird oder selber von seiner Teilnahme Abstand nimmt, "wenn ein zu treffender Beschluss diesem oder einem Mitglied eines mit ihm Beziehung stehenden definierten Personenkreises einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil“ birgt. Besteht also die Vermutung eines Interessenskonflikts, gilt das Mitglied als befangen und hat die Sitzung zu verlassen (Mitwirkungsverbot).

Wir mussten feststellen, dass diese Praxis bei den Beratungen des Bissendorfer Gemeinderates weder zur 47. und 48. Änderung des Flächennutzungsplanes noch zu den Bebauungsplänen Nr. 162 „Gartenfachmarkt Natbergen“ und Nr. 163 „Natbergen – Auf der Heide“ angewendet wurde. Ratsmitglied Wolfgang Haucap (CDU) hat an den Beratungen teilgenommen, obwohl er in allen Fällen von den Entscheidungen sehr stark betroffen ist, sie teilweise sogar initiiert hat.

Wir hatten den Gemeinderat mehrfach auf den Interessenskonflikt hingewiesen und gebeten, doch zumindest die Verknüpfung der beiden Planungen aufzulösen, weil dadurch der Verdacht entsteht, dass das Ratsmitglied Wolfgang Haucap einen beträchtlichen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, indem die Gemeinde ihm die Möglichkeit bietet, ein Gartencenter auf einer bisherigen Ackerfläche zu bauen und im Gegenzug die freiwerdenden Flächen seiner Gärtnerei zu Bauflächen erklärt.

Die Einwände wurden ignoriert.

Daraufhin informierten wir die Kommunalaufsicht des Landkreises Osnabrück:

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Schreiben an die Kommunalaufsicht vom 29.11.2021
BriefanKommunalaufsicht.pdf
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Unsere Beschwerde wurde von einer Mehrheit im Bissendorfer Gemeinderat nicht gerade wohlwollend aufgenommen. Bürgermeister Halfter und der Fraktionsvorsitzende der CDU, Volker Buch, reagierten erbost und gingen damit an die Presse. Nach ihrer Darstellung würde die Gemeinde mit ihrer Planung nur auf Bürgerwünsche nach Bebauungsmöglichkeiten in zweiter Reihe reagieren und mit der Verlagerung der Gärtnerei Haucap sogar den Verkehrslärm in der Siedlung verringern. Ein Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit gelte in Niedersachsen nicht für die Aufstellung eines Flächennutzungsplanes, außerdem hätte Ratsherr Haucap im Gegensatz zum ebenfalls betroffenen Ratsherrn Kanke (Grüne) "nachweislich nicht an den entsprechenden Beratungen und Abstimmungen teilgenommen".

 

Ob Ratsherr Haucap sich tatsächlich als befangen erklärte und / oder "Beratungen und Abstimmungen" fernblieb, müsste eigentlich leicht zu klären sein. Doch leider veröffentlicht die Gemeinde Bissendorf die Protokolle der öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen nicht, sodass man konkret nachfragen muss. Die Kommunalaufsicht hat seine Anwesenheit aber zumindest für eine Sitzung dokumentiert.

Dass Ratsherr Claus Kanke von den Grünen vorgeschoben wird, werten wir als Haltet-den-Dieb-Strategie (neudeutsch: "Whataboutism"), um von der eigentlichen Problematik abzulenken. Ratsherr Kanke plant im Gegensatz zum Ratsherrn Haucap kein Gartencenter und hat eine Planungsvariante vorgeschlagen, bei der er als Anwohner nicht von Bauflächenausweisungen profitiert.

 

gehemmte Kommunalaufsicht

Das Ergebnis der kommunalaufsichtlichen Untersuchung ist für beide Seiten unbefriedigend. Die Kommunalaufsicht konnte keinen Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot erkennen, weil bei Entscheidungen über Bebauungspläne in Niedersachsen - im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern - grundsätzlich keine Befangenheit von Ratsmitgliedern gilt. Was nicht wirklich nachvollziehbar ist, weil sich kaum eine relevantere Entscheidung vorstellen lässt, als die Möglichkeit, landwirtschaftliche Flächen durch Baurecht "vergolden" lassen zu können. Für Ratsherrn Haucap dürfte die Entscheidung jedenfalls von existenzieller Bedeutung sein.

Außerdem berichtet die Kommunalaufsicht, dass sie nicht in Fällen aktiv werden darf, bei denen die Möglichkeit des Rechtsweg besteht,  also eine Klage vor einem ordentlichen Gericht möglich ist. Da wir als Betroffene die Möglichkeit hätten, Bebauungspläne gerichtlich überprüfen zu lassen, sieht sich die Kommunalaufsicht außerstande, eine Entscheidung zu treffen.

Der Vorwurf, Bürger, die Einwände vorbringen wollen, würden eingeschüchtert, wurde ebenfalls abgewiesen. Aus organisatorischen Gründen müssten diese Bürger ihre Identität nennen und gefilmt werden dürfen.

Insgesamt fühlen wir uns durch das Ergebnis der Untersuchung durchaus bestätigt, auch wenn die Gemeinde Bissendorf das Ergebnis anders interpretiert (s.u.). Denn bei dem, was die Kommunalaufsicht prüfen darf, hat sie zwar keinen Verstoß gegen die gültigen Gesetze festgestellt, verweist aber ausdrücklich darauf, dass sie nur eingeschränkt prüfen darf und dass zur Klärung dieser Fragen die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Wir interpretieren die Antwort der Kommunalaufsicht daher als Aufforderung, die Fragen von Befangenheit, Vorteilsnahme bzw. -gewährung und / oder vorgeschobenen Planungsbegründungen einem ordentlichen Gericht vorzulegen, wenn wir dieses Dickicht der Interessensverknüpfungen lichten wollen. Sie selbst darf nicht aktiv werden.

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Antwort der Kommunalaufsicht vom 3. März 2022
Kommunalaufsicht3Maerz2022.pdf
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Bereits am darauf folgenden Tag, am 4. März 2022, gab die Gemeinde Bissendorf eine Pressemitteilung dazu heraus, die z.B. im Bissendorfer Kurier doppelseitig abgedruckt wurde (wie der Zufall es will, wird die Ausgabe auf dem Titelblatt von einer Charme-Offensive der Gärtnerei Haucap eröffnet).

Laut dieser Pressemitteilung sieht sich Bürgermeister Guido Halfter vollkommen rehabilitiert und fordert uns - die IG Natberger Heide - auf, "... zukünftig zu einem sachorientierten und demokratischen Diskurs mit der Gemeinde zurückzufinden und weitere Verunglimpfungen des Gemeinderates zu unterlassen".

In dem Pressetext werden Teile der kommunalaufsichtlichen Untersuchung in kursiver Schrift zitiert. Leider ist auch die Stellungnahme des Bürgermeisters kursiv gedruckt, sodass unklar bleibt, wo die Untersuchung endet und der Kommentar das Bürgermeisters beginnt. So entsteht der Eindruck, die Position des Bürgermeisters ist auch die der Kommunalaufsicht.

Was nicht der Fall ist!

Denn die Kommunalaufsicht kommt zu dem Schluss, dass sie für viele der aufgeworfenen Fragen nicht zuständig ist, und verweist auf die ordentlichen Gerichte. Das Untersuchungsergebnis ist kein Freispruch, sondern Ausdruck der Unzulänglichkeit der Kommunalaufsicht, die in ihrer Arbeit vom Gesetzgeber deutlich eingeschränkt worden ist.

Außerdem wird deutlich, dass Einschüchterungen und Verunglimpfung durchaus zum Repertoire der kommunalen Argumentation zu  gehören scheinen - unser Vorwurf der Repression also nicht aus der Luft gegriffen ist. Denn nicht wir haben den "sachorientierten und demokratischen Diskurs" verlassen und den Gemeinderat verunglimpft, wir haben den Dialog gesucht, wurden abgewiesen und uns daraufhin an die gesetzlich vorgesehene Kontrollinstanz gewandt! Das als "Verunglimpfungen des Gemeinderates" zu bewerten, ist eine deutliche Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze und eine Dramatisierung der Situation.

In diesem Zusammenhang ist es schwierig, den Hinweis in der kommunalen Pressemitteilung: "Die namentlich verantwortlichen Personen für die o.a. Beschwerde können im Impressum auf der Homepage www.natbergerheide.de eingesehen werden", nicht als Drohung zu verstehen. Zumal der ehemalige Vorsitzenden des Bauausschusses, Hans-Dieter Schleibaum (SPD), sich auf der Ratssitzung am 10.3.2022 mit der Bitte an seine "liebe Kollegen" im Rat wandte (die genau genommen seine Ex-Kollegen sind), einen "Strafbefehl" gegen uns, die Interessensgemeinschaft Natberger Heide zu erwirken, weil wir die Kommunalaufsicht angerufen haben. Was Bürgermeister Halfter zwar ablehnte, aber - Strafe muss anscheinend sein - seine Zusage der Teilnahme an einer extern moderierten Diskussionsrunde widerrief.

Insgesamt sehen wir durch die Pressemitteilung der Gemeinde eher unsere Sicht der Dinge bestätigt, weil die Gemeindeverwaltung und eine Mehrheit im Rat die kommunalaufsichtliche Untersuchung vereinnahmt und fälschlicherweise ihre Sicht als Untersuchungsergebnis ausgibt. Und weil sie uns lieber kriminalisiert, als sich ernsthaft und inhaltlich mit unseren Bedenken zu befassen.

 


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Entscheidung der Kreisaufsichtsbehörde bringt keine Ruhe nach Bissendorf
Bericht von Robert Schäfer in der NOZ
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NOZ-Artikel vom 24.2.2022
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Pressemitteilung der Gemeinde Bissendorf vom 4. März 2022
Bissendorfer_Kurier_Nr_331_Maerz_2022_S_
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Kommentare: 5
  • #1

    Volker Buch (Sonntag, 15 Mai 2022 14:05)

    Zitat:
    "Doch leider veröffentlicht die Gemeinde Bissendorf die Protokolle der öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen nicht, sodass man konkret nachfragen muss."

    Dies ist nicht korrekt!
    Auf der Homepage der Gemeinde unter Rathaus / Rat + Politik / Sitzungskalender / Niederschriften
    sind die Protokolle der öffentlichen Sitzungen für jedermann einsehbar, bzw. herunterzuladen.

    Wer will, der findet....




  • #2

    A.D. (Donnerstag, 26 Mai 2022 17:42)

    Sehr geehrter Herr Buch,
    als Fraktionsvorsitzender der CDU könnten Sie die Frage doch eigentlich leicht beantworten, ob Herr Haucap an der kommunalen Planung für sein Gartencenter und an der Planung für die Umwandlung seiner Gartenflächen zu Bauland beteiligt war.
    Also, war er, oder war er nicht?

  • #3

    I. Gitti (Sonntag, 05 Juni 2022 10:43)

    der gedanke das der rat ein gartencenter und die bebauung der haucap-restflaechen ohne initiative von haucap beschlossen hat es ist doch total abwegig
    selbst wenn er bei den abstimmungen rausgegangen ist ist das eine grosse schweinerei
    wir leben in einer scheindemokratie
    !

  • #4

    nn (Freitag, 29 Juli 2022 11:16)

    Warum sollte sich der Gemeinderat mit dem geplanten Gartencenter beschäftigen, wenn nicht auf Initiative des Unternehmers Haucap hin? Es gibt keinen Grund, außer seinen Wunsch, wobei er gleichzietig Ratsmitglied ist. Wenn sich die Fraktion berät, sitzt dann der Unternehmer oder das Ratsmitglied am Tisch?
    Selbst wenn Wolfgang Haucap seine Ratsmitgliedschaft beenden sollte, die nötigen Kontakte und Beziehung bestehen weiter. Wie er das auflösen will und aus der Sache heile rauskommen will, ist schleierhaft.

  • #5

    Norma (Donnerstag, 18 August 2022 10:49)

    Die Verquickung von Eigeninteressen und Politik gab es schon immer. Bemühungen, dagegen anzugehen, auch. Letzlich sind unsere demokratischen Spielregeln daraus entstanden. Aber immer wieder werden sie listig umgangen. Warum? Weil die Menschen egoistisch und schlau sind. Also werden Umwege gefunden und daraufhin neue Regeln aufgestellt, die wieder umgangen werden.
    Das Problem müsste grundlegend gelöst werden. Aber da will niemand dran.